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Schritt, zwei Schritte
Eine Szene, die einer Aufnahme vom Alexanderplatz um die Zeit des Mauerfalls nachempfunden ist; schwer zu sagen, ob kurz davor oder danach. Die Systeme auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs waren symmetrisch und komplementär zugleich. Sie waren eines des anderen verzerrtes Spiegelbild.
Im Hintergrund die Umrandung des Brunnens und das damalige Centrum-Warenhaus, ein Brückenkopf des Konsums, mit seiner seitdem offensichtlich vergebens umgestalteten Fassade. Vielleicht gelingt es den zukünftigen Generationen, sich selbst über den Verlust des einstigen Gegenübers hinweg zu täuschen.
Auf dem Platz taumelt eine Menschenmenge, bis auf zwei Figuren vollständig anonym. Ihre Umrisse sind undeutlich und verschwommen, wie durch Wallung aufsteigender Hitze oder als ob die gesellschaftliche Dynamik ihren Bewegungen Unschärfe verliehen hätte. Die Zeit schreitet auf verschiedenen Ebenen des Geschehens mit einer unterschiedlichen Geschwindigkeit fort.
Die anscheinend amorphe Masse ist als ein Element, eine Naturgewalt zu betrachten. Ambient und durchsichtig wie Luft oder Äther, eine Substanz, die wie Gas oder Flüssigkeit allerhöchstens imstande ist, die Form des Gefäßes anzunehmen das sie auffüllt. Sie ist bestenfalls als Medium vorhanden, bemerkbar indem sie das Individuum von außen umschließt und durch ihr bloßes Vorhandensein seine Bewegungsfreiheit einschränkt.
Ungeklärt bleibt die Identität der einzelnen Figur, die sich von dieser Menge abhebt und ihr trotzdem eindeutig zugehörig bleibt, die wie eine Verzierung am Brunnenrand sitzen geblieben ist. Vermutlich ein, oder eine, Studierende, andächtig versunken in die Lektüre, die er, oder sie, auf den Knien aufgeschlagen hat und die auf eine geistige Berufung hindeutet. Die Abgehobenheit, die der Haltung zu entnehmen ist, weist auf eine kontestative Lebenseinstellung hin. Möglicherweise dem autonomen Spektrum zugehörig. Es scheint nicht, dass diese Person jemanden oder irgendetwas in ihrer unmittelbaren Umgebung direkt wahrnimmt. Das Geschlecht ist nicht zu erkennen, ist vielleicht unbedeutend, falls überhaupt wirklich vorhanden.
Weiter vorne beschreibt eine fremdartig wirkende Erscheinung einen geschlossenen Kreis von Fußspuren, unbeirrt in die eigenen Fußstapfen tretend, als ob sie mit Absicht vermeintliche Verfolger auf die falsche Fährte locken wolle. Die Silhouette des Spaziergängers ist dunkel und unscheinbar. Aber da es eine Anleihe eines weltbekannten propagandistischen Motivs ist, ist es unmöglich zu übersehen, um wem es sich hier handelt.
Lenin scheint vorwärts zu schreiten, jedoch kann man das nicht mit Sicherheit sagen, denn das statische Medium kann nur eine Bewegungsphase festhalten, nicht die Bewegung selbst, und schon gar nicht ihre Richtung. Eins ist sicher: Er beabsichtigt vorerst nicht, die Gegend, in der er sich eingefunden hat, zu verlassen. Vielleicht hat er bereits aufgegeben, eine Weltrevolution anzustiften.
Wawrzyniec Tokarski